
Ein Krankenpfleger steht vor Gericht, weil er Patienten tödliche Überdosen verabreicht haben soll.
Aachen (dpa) - Es sind schier unglaubliche Vorwürfe: Ein Krankenpfleger soll reihenweise Patienten teils tödliche Überdosen gespritzt haben, weil er seine Ruhe haben wollte. Am Montag beginnt vor dem Aachener Landgericht der Prozess gegen den Mann - wegen neunfachen Mordes und 34-fachen Mordversuchs.
Alle Taten soll er innerhalb weniger Monate in einer Klinik in Würselen begangen haben, nämlich zwischen Ende Dezember 2023 und Mai 2024. Laut Anklage soll er insgesamt 26 Patienten auf der Palliativstation stark sedierende Medikamente injiziert haben, teils in Kombination mit Schmerzmitteln und in einigen Fällen auch mehrfach. Das habe in neun Fällen zum Tod der Patienten geführt, so die Anklage.
Taten auf der Palliativstation
Als Motiv nimmt die Staatsanwaltschaft an, dass der 44-jährige Deutsche die Patienten ruhig stellen wollte, um während seiner Nachtdienste möglichst wenig Arbeit zu haben. Deshalb geht die Anklage von Mord aus niedrigen Beweggründen aus, wie eine Sprecherin des Landgerichts sagte. Der Verteidiger des Angeklagten wollte auf dpa-Anfrage keine Stellungnahme abgeben.
Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft fünf mutmaßliche Morde und 25 Mordversuche angeklagt. Doch in der vergangenen Woche war eine weitere Anklage wegen vier Morden und neun Versuchen dazugekommen. Diese Fälle werden nun zusammen verhandelt. Für den Prozess hat das Landgericht bislang 14 Termine bis Anfang Juni angesetzt.
Ermittlungen und Exhumierungen
Die Ermittlungen waren ins Rollen gekommen, nachdem in der Klinik Unregelmäßigkeiten aufgefallen waren. Im Juli 2024 wurde gegen den Verdächtigen Haftbefehl erlassen. Im Laufe der Ermittlungen habe es bisher insgesamt fünf Exhumierungen gegeben, um Tote zu obduzieren, sagte eine Sprecherin der Aachener Staatsanwaltschaft. Voraussichtlich würden noch mehr Gräber geöffnet.
Denn die Ermittlungen sind trotz des anstehenden Prozesses noch nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft nimmt nun die früheren Berufsjahre des Angeklagten unter die Lupe. «Wir werden uns Jahr für Jahr vornehmen und schauen, ob es weitere Fälle, auch an anderen Orten, gibt», sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Möglicherweise könnte das Ganze also noch größere Dimensionen annehmen.
Weitere mögliche Fälle
Unter anderem hatte der Mann bis 2020 in den städtischen Kliniken Köln gearbeitet, wie eine Kliniksprecherin auf Anfrage bestätigte. «Wir haben Ende des vergangenen Jahres von den schwerwiegenden Vorwürfen Kenntnis erlangt, als die Ermittlungsbehörden erstmalig auf die Kliniken Köln zugekommen sind.» Das Unternehmen unterstütze die Ermittlungen seitdem «mit ganzer Kraft».
In der Vergangenheit gab es in Deutschland immer wieder Todesfälle in Kliniken oder Pflegeeinrichtungen, die für Schlagzeilen sorgten. So sitzt seit August ein Palliativmediziner aus Berlin in Untersuchungshaft, der mindestens zehn Patienten getötet haben soll - nach Ansicht der Berliner Staatsanwaltschaft aus «Mordlust».
Die bislang wohl größte Mordserie der deutschen Nachkriegsgeschichte dürfte der Fall von Ex-Pfleger Niels Högel in Niedersachsen sein. Das Landgericht Oldenburg verurteilte ihn 2019 wegen 85 Morden zu lebenslanger Haft. Sein Motiv für die Taten blieb unklar.