Normalerweise führt eine Schädigung der Mukosa im Darmepithel zu einer vorübergehenden Reprogrammierung der Epithelzellen in einen hochregenerativen Zustand. Gekennzeichnet ist dieser durch eine Expansion proliferativer Zellen auf Kosten differenzierter Enterozyten. Dieser Reparaturmodus ist ein Zustand, der dem fetalen Epithel ähnelt. Die Zellen vermehren sich schnell, um die Verletzung zu beheben. Klingt diese ab, wird der regenerative Zustand beendet.
Wenn die Regeneration außer Kontrolle gerät
Anders ist dies bei Patienten mit Colitis ulcerosa: Ihr Darmepithel scheint langfristig in diesem regenerativen Zellzustand „steckenzubleiben“, und eine toxische Rückkopplungsschleife beginnt. Aktuellen Forschungsergebnissen zufolge steht dieser Defekt im Reparaturmechanismus in Zusammenhang mit einem dysfunktionalen p53-Gen: Ohne p53 bleiben die Zellen in einem proliferativen Zustand und können nicht zurück in die Homöostase gelangen.
Beobachtet haben dies Forscher und Forscherinnen vom Max Delbrück Center und Charité Berlin an einem aus Mausstammzellen entwickelten Dickdarm-Organoid. Fehlte den Stammzellen p53, blieben sie im Zustand der erhöhten Regenerationsfähigkeit. Assoziiert war dies mit einer erhöhten glykolytischen Kapazität, die proliferative Stammzellen nutzen, um ihren erhöhten Energiebedarf während des proliferativen Ausbruchs nach einer Verletzung zu decken.
Beitrag zur Karzinogenese
Ihr höheres proliferatives Potenzial ermöglicht es den Zellen wahrscheinlich, Wildtyp-Zellen nach einer Verletzung zu verdrängen und sich so in der Schleimhaut zu verfestigen. Da das betroffene Epithel die Homöostase nicht wiederherstellen kann, hochgradig proliferativ bleibt und eine langfristige Entzündung und Immuninfiltration aufweist, kann der Verlust des p53-Signalwegs zu einer fortschreitenden Dysfunktion, einer Chronifizierung der Kolitis und schließlich zur Karzinogenese beitragen.
Ziel: mutierte Zellen selektiv angreifen
In ihren Versuchen gelang es den Forscherinnen und Forschern aus dem Team um Prof. Michael Sigal, Berlin, mit spezifischen Wirkstoffen die Glykolyse zu stören. Tatsächlich konnten sie so insbesondere die Zellen, denen das Gen p53 fehlte, gezielt beeinflussen. Normale Zellen sprachen weniger gut auf die Behandlung an. Jetzt hoffen die Forscher, daraus neue Therapeutika generieren zu können, die mutierte Zellen selektiv angreifen.
Eine Voraussetzung dafür ist aber, dass eine einfache Screening-Methode zur Verfügung steht, mit deren Hilfe Zellen mit einem dysfunktionalen Tumorsuppressorgen p53 im Dickdarmgewebe frühzeitig identifiziert werden können – idealerweise schon bevor Veränderungen sichtbar werden. Erst dann können klinische Studien starten, in denen versucht wird, diese Zellen selektiv zu beseitigen, um zu prüfen, ob dies mit einem geringeren Krebsrisiko verbunden ist.