Wo steht Deutschland?WHO warnt: Millionen vermeidbare Todesfälle durch nichtübertragbare Krankheiten

Stephanie Schikora

Nichtübertragbare Krankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes verursachen jährlich rund 1,8 Millionen vermeidbare Todesfälle in Europa – trotz verfügbarer Präventions- und Behandlungsmöglichkeiten, so ein aktueller Bericht der WHO/Europa [1]. Entschlossenes politisches Handeln könnte Leben retten und enorme wirtschaftliche Schäden verhindern – und aktuellen Daten zufolge besteht hierzulande durchaus Nachholbedarf,

2 kleine WHO-Flaggen
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Nichtübertragbare Krankheiten fordern jährlich Millionen vermeidbare Todesfälle: Die WHO warnt und ruft zum Handeln auf! Nachholbedarf besteht auch in Deutschland.

Jeder 5. Mann und jede 10. Frau stirbt in der Europäischen Union (EU) vor dem 70. Lebensjahr an den Folgen von nichtübertragbaren Krankheiten – also an Krebserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Diabetes. Rund 60% dieser Todesfälle sind dabei eine Folge vermeidbarer Ursachen wie Tabak- und Alkoholkonsum, Bluthochdruck, ungesunde Ernährung, Adipositas und Bewegungsmangel, die alle durch eine stärkere Gesundheitspolitik bekämpft werden können. Die restlichen 40% sind auf behandelbare Ursachen zurückzuführen, bei denen der Tod bei rechtzeitiger Diagnose und Zugang zu einer hochwertigen Versorgung verhindert oder hinausgezögert werden könnte. 

Deutschland im weltweiten Vergleich

Zwar führen die USA  aktuellen Daten zufolge [2] die Liste westlicher Länder mit hohem Einkommen an, in denen die Wahrscheinlichkeit, vor dem 80. Lebensjahr an einer nichtübertragbaren Krankheit (NCD) zu sterben, im vergangenen Jahrzehnt am wenigsten gesunken ist. Deutschland schneidet aber nur geringfügig besser ab: Bei Frauen liegt es auf Rang 2, bei Männern auf Rang 3. Damit ist auch hierzulande der Rückgang des NCD-Risikos nur marginal ausgefallen.

Besonders auffällig ist jedoch die Entwicklung bei den deutschen Frauen im Alter zwischen 30 und 40 bzw. 65 und 75 Jahren: In diesen beiden Altergruppen stieg die Sterblichkeit sogar leicht an. Geschuldet zu sein scheint dies einem Anstieg der Lungenkrebssterblichkeit bei Frauen, der in Deutschland stärker ausfiel als in den meisten anderen westlichen Ländern.

Über alle Krebsentitäten gesehen, war zwischen 2010 und 2019 zwar ein Rückgang der Krebssterblichkeit zu verszeichnen, allerdings war dieser deutlich schwächer als in in den Jahren 2000 und 2009. Wie in den USA wurde der Rückgang der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland durch einen Anstieg neuropsychiatrischer Erkrankungen konterkariert.

Die größten Rückgänge der NCD-Sterblichkeit können übrigens Norwegen und Schweden verbuchen.  Unterstützt durch gezielte Prävention und starke Gesundheitssysteme sank dort die Sterblichkeit in fast allen Altersgruppen – auch bei jungen Erwachsenen.

Fast 2 Millionen Totesfälle pro Jahr wären vermeidbar

„Unsere Erkenntnisse zeigen, dass jedes Jahr fast 2 Millionen Todesfälle durch eine bessere Prävention oder Behandlung verhindert werden können, während gleichzeitig Milliarden von Dollar an Gesundheitskosten eingespart würden“, so  Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. „Die Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten durch mutige Präventionskonzepte ist eine politische Entscheidung. Die hohe Belastung durch nichtübertragbare Krankheiten in unserer Gesellschaft ist nicht unvermeidlich. Wir haben die Macht und die Mittel, die Dinge zu ändern.“

Vermeidbare Todesfälle aufgrund nichtübertragbarer Krankheiten fordern nach wie vor einen verheerenden Tribut, sowohl in Form verlorener Menschenleben als auch in Form von wirtschaftlichen Auswirkungen. In der Region werden die Produktivitätsverluste aufgrund dieser Todesfälle auf über 514,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt. Doch trotz eindeutiger Evidenz für eine hohe Investitionsrentabilität sind die Mittel für die Prävention nichtübertragbarer Krankheiten nach wie vor völlig unzureichend.

Zwar haben sich die Unterschiede zwischen den Ländern seit 2010 verringert, doch bestehen nach wie vor große Ungleichheiten. Vermeidbare Risikofaktoren – u. a. Tabakkonsum, Adipositas, Bluthochdruck und Diabetes – nehmen zu und konzentrieren sich zunehmend auf den östlichen Teil der Region. Gleichzeitig sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vermeidbare Todesfälle aufgrund von Krebs bei Männern weiterhin unverhältnismäßig hoch.

Zehn Länder gehen mit mutiger Gesundheitspolitik voran

Trotz der enormen Herausforderungen, die nichtübertragbare Krankheiten mit sich bringen, gibt der Bericht Anlass zu Optimismus. Zehn Länder in der Region haben die Zielvorgabe einer Verringerung der vorzeitigen Sterblichkeit aufgrund der 4 häufigsten nichtübertragbaren Krankheiten um 25% bis 2025 bei Frauen wie auch Männern bereits erreicht. 

Diese 10 Länder – Belgien, Dänemark, Estland, Israel, Kasachstan, Luxemburg, die Niederlande (Königreich der), Norwegen, Schweden und die Schweiz – teilen wichtige Merkmale: 

  • Sie haben umfassende Pakete der vielversprechendsten Optionen der Weltgesundheitsorganistation WHO („Best-Buys“) – bewährte, kosteneffiziente Maßnahmen zur Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten – umgesetzt.
  • Sie haben die Prävalenz multipler Risikofaktoren reduziert und die Reaktion ihrer Gesundheitssysteme gestärkt.

Dies hat zu einem jährlichen Rückgang der vermeidbaren und behandelbaren Sterblichkeit aufgrund nichtübertragbarer Krankheiten um über 2 % geführt, insbesondere bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs.

Weitere 26 Länder könnten nach WHO-Angaben das Ziel einer Verringerung um 25 % noch erreichen , wenn sie ihre Investitionen in die Prävention und Behandlung nichtübertragbarer Krankheiten aufrechterhalten und intensivieren. 

„Eine gesündere Zukunft von morgen erfordert schon heute mutiges Handeln. Die Länder in der Europäischen Region der WHO können ihre Zielvorgaben für 2030 verwirklichen. Die bevorstehende vierte Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf hoher Ebene zum Thema nichtübertragbare Krankheiten ist ein entscheidender Moment, um sich erneut zur Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten zu verpflichten“, erklärte Dr. Gauden Galea, strategischer Berater der Sonderinitiative für nichtübertragbare Krankheiten und Innovation des Regionaldirektors. „Dieser Bericht bietet einen klaren, datengestützten Fahrplan für Maßnahmen – und stellt einen Weckruf dar, den wir nicht ignorieren dürfen.“ 

So gelingt der Kurswechsel bis 2030

Eine wirksame Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten ist nicht nur gut für die öffentliche Gesundheit, sondern auch für unsere Gesellschaft und unsere Volkswirtschaften. Die Verringerung vermeidbarer Todesfälle und Krankheiten aufgrund nichtübertragbarer Krankheiten kann die Wettbewerbsfähigkeit der Länder stärken, indem sie den Menschen zu einem längeren und gesünderen Leben verhilft, sie in die Lage versetzt, einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, und die gesundheitsbezogenen Kosten senkt. 

Um verlorenen Boden gutzumachen und Fortschritte zu beschleunigen, fordert der Bericht die Länder eindringlich auf, sich ehrgeizige, aber erreichbare Ziele zu setzen und die Datenerfassung zu verstärken, um Fortschritte zu verfolgen und die Rechenschaftslegung zu verbessern. Prävention und Behandlung müssen Hand in Hand gehen, unterstützt durch koordinierte, ressortübergreifende Maßnahmen. Das bedeutet, gemeinsame Handlungskonzepte zu entwickeln, die an den sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen und digitalen Faktoren ansetzen, die unsere Gesundheit beeinflussen und unser langfristiges Wohlbefinden fördern.

  • Verringerung der Exposition gegenüber Risikofaktoren und Stärkung der Reaktion der Gesundheitssysteme auf nichtübertragbare Krankheiten, einschließlich eines besseren Zugangs zu Früherkennung und hochwertiger Behandlung, insbesondere in unterversorgten Gemeinschaften
  • Beschleunigung der Fortschritte durch die Umsetzung von NCD-Quick-Buys [dt. schnelle Erfolgsrezepte im Bereich nichtübertragbare Krankheiten] – Maßnahmen, die in weniger als 5 Jahren messbare Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit zeigen
  • Stärkung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit, um Ursachen außerhalb des Gesundheitswesens zu bekämpfen
  • Gezielte Nutzung von Daten für mehr Wirkung: Investition in eine hochwertige Surveillance und Überwachung von nichtübertragbaren Krankheiten und deren wirksame Nutzung für Politikgestaltung und -bewertung
  • Einbeziehung der Prävention und Behandlung nichtübertragbarer Krankheiten in die nationalen Notfallpläne.

[1] Word Health Organisation  - European Region. Avoidable mortality, risk factors and policies for tackling NCDs: leveraging data for impact.

[2] NCD Contdown 2030 Collaborators. Lancet 2025; 406: 1255–1282. DOI: 10.1016/S0140-6736(25)01388-1


Quelle: Pressemeldung „Neue Daten: Jedes Jahr verursachen nichtübertragbare Krankheiten 1,8 Mio. vermeidbare Todesfälle und kosten 514 Mrd. US-$, wie ein neuer Bericht von WHO/Europa zeigt", WHO/Europa vom 27.06.2025